Bei Freunden im Garten. Viertel neun Uhr abends. Regen und Sonne wechseln sich in ungleicher Regelmäßigkeit ab. Der Mai macht seine Aprilscherze und ich genieße das Sein. Eben war es frühlingshaft hell, ein azurner Himmel an dem einige weiße Wolken ihre stoische Wanderschaft begingen, ruhig, gemütlich und mit der Geschwindigkeit eines gelähmten Wurmes.
Jetzt wiederum ist es dunkel, die Stadt ist ein tiefes Grau gehüllt, das sich mit einem saphiernen Grün kleidet, als wolle die Welt im Farbenspiel der Atmosphäre untergehen. Erste große Tropfen klatschen auf das Kunststoffdach der Terrasse und bald ist es ein Meer an Tropfen, ein Guss schweren Regens kippt sich über uns aus.
Die Nachbarn feiern den 12 Geburtstag ihrer Tochter und saufen laut, während die Jubilarin vielleicht allein gelangweilt in ihrem Zimmer sitzt, die Verwandtschaft verflucht, sich für die Peinlichkeit der Erwachsenen schämt und ihre Barbies verbrennt. Mit 12 spielt man nicht mehr mit Puppen. Mit zwölf ist man fast erwachsen. Die Rebellion gegen alles und jeden, gegen Gott und die Welt beginnt. Was sind schon Puppen gegen Rotz und Trotz. Was sind die kindischen Kinkerlitzchen aus der Spieltruhe gegen Piercing, Joint und laute Mucke?!
Der Feier ist die Gabe zu verdanken, den in Langeweile geahnten Abend gut betrunken zu beginnen.
Eine Flasche Teufelsgemisch als Schenkung über den Zaun. Ob uns der Nachbar nur bestechen wollte, nicht die Bullen zu rufen, weil er weiß, dass es bald sehr laut sein wird in seinem Haus? Wodka, Rum, Rotwein und Himbeersirup, alles in einem Gesöff. Was für ein Mix. Schon nach dem ersten Glas ist mein Blick gestochen scharf. Die Welt liegt mir zu Füßen und bietet sich mir in ihrer Herrlichkeit dar. Fast meine ich, die Photosynthese beobachten zu können, so klar und scharf liegt alles Ist um mich herum und sticht meine Augen hellwach.
Ein Blitz zuckt über die Kleinstadt die sich ins feingrüne Frühlingskleid geputzt hat.
Ben Becker singt aus der Stereoanlage von einem verstorbenen Freund.
Lass uns etwas Verrücktes machen! Lass uns nackt im Regen tanzen! Ich will lebendig sein! Lebendig, hörst du?! Scheiß auf Pflicht und Morgen. Lass es uns jetzt tun! Trinken wir den Schmutz von der Oberfläche! Saufen wir die Welt sauber, auf dass eine verkaterte Reinheit das neue Morgen schafft! Wo ist die hysterische Euphorie einer wahnsinnigen Lebendigkeit, wenn ich bereit und wahnsinnig euphorisch bin?!
Der Regen kracht auf das Plastikdach, dass es klingt, als wolle es bersten. Der Donner grollt ungeheuer unten und wir sitzen und schweigend, ohnmächtig ob der Schönheit des Jetzt in diesem Draußen. Blitze zucken in beständiger Regelmäßigkeit vom inzwischen tiefdunklen Himmel als wollen sie Bestätigung schreien… Bestätigung für die absolute Genialität dieses Augenblicks.
Dreht durch ihr Menschenfürze!
Dreht durch ihr abfallartiges Gesocks!
Dreht durch ihr Lumpenpack!
Feiert die Reinheit einer Katastrophe Mensch!
Feiert das Ist und epiliepsiert euch durch die Schönheit!
Die südliche Hangseite der Kleinstadt, auf die ich thronend blicke, liegt schon wieder im Schein der Abendsonne, während hier auf dem Nordhang die nassen Trommler die Musik übertönen und der Donner wie schwere Wein gefüllte Eichenfässer über unsere Köpfe rollt.
Grandiosität! Es riecht nach Leben! Es riecht nach Frühling, nach Regen, nach Sein!
Aufspringen! Leben!
Es klingt, als durchschlage der Regen gleich das Dach. Von Ben Beckers Musik ist nichts mehr zu hören. Die Blitze schießen sekündlich aus dem Himmel und das Grollen des Donners ist ein Dauerton geworden.
Der Wind kühlt mein euphorisch glühendes Gesicht. Die Herrlichkeit dieses Augenblickes ist unübertroffen!
Noch einen Schluck Schnaps meine Freunde! Hoch die Gläser, lasst uns zusammen auf dem Kahn Leben über die Styxe dieser amoralischen Welten reiten! Lasst uns in den Fluten ertrinken, auf dass wir neue Menschen werden!
Was wollen wir mehr? Was um alles in der Welt wollen wir denn noch mehr? Die Perfektion eines Momentes! Rausch und Sein und Sein und Rausch!
Auf all den Abschaum geschissen, der uns das Ist schwer macht! Hier und jetzt ist kein Abschaum. Das Rudel liegt verstreut in seiner Unzulänglichkeit, fern ab allem Hiersein!
Hier ist nur Lebendigkeit und Sein… und Wohlfühlen und Rausch und Schnaps und Musik und Regen und Frühling und Herrlichkeit…