„Du bist im Bordell Europas und fickst nicht. Irgendetwas stimmt mit dir nicht, mein Freund“, meinte Vasilis und nippte von seinem London Pride.
„Wenn ich in einer aufkommenden Schreibphase bin, kann ich nicht ficken. Genaugenommen interessieren mich dann Frauen einfach nicht. Verschiedene Energien“, murmelte ich und trank ebenfalls.
„Ich versteh nicht, warum du dann schreibst. Also es bringt dir kein Geld und dein Schwanz leidet auch. Das ist doch ne loose loose-Situation.“
Aus diesen Blickwinkel hatte ich die Literatur noch nicht betrachtet und es sprach einiges dafür das Vasilis recht haben könnte, überhaupt konnte man mit ihm wunderbar diskutieren, solange keine Frauen vorbeiliefen, was in der Strada Covaci selten der Fall war und sowieso, was man auch über die Rumänen sagen mag, schöne Frauen hatten sie. Manche vertraten sogar die Theorie, dass rumänische Frauen mit High Heels auf die Welt kommen.
Ein Teil von mir bewunderte diese Menschen vom Schlage Vasilis, die einfach ner Frau nen Schein zusteckten und dann mit ihr verschwanden oder eine Rose von einen Roma-Jungen um Mitternacht kauften und eine wildfremde Frau damit zum Lächeln brachten, ob das nun politisch korrekt war oder nicht. Diese Leichtigkeit, also so wie man ein Bier bestellt. Die das Leben als lockere Angelegenheit sahen, mochte man davor noch die halbe Nacht mit ihm über linke Ideale und Ausbeutung debattiert haben. Egal, philosophieren und Frauen waren zwei paar Angelegenheiten.
Man könnte sagen, in den besten Momenten und es waren die Augenblick die ich genoss, spiegelt sich in den Aussagen von Vasilis etwas vom Nachglanz eines platonischen Idealismus, gepaart mit einem zynischen Skeptizismus. Der Idealismus kam immer dann zum Vorschein, wenn es um Griechenland ging, während der Zynismus klar mit Rumänien verbunden war, das für ihn nicht mehr als eine Verbannung darstellte, die er jobwegens auf sich nahm. Er arbeitete in irgendeiner Fabrik eines Verwandten, die Magazine wie National Geography in Plastik einschweißte. Seine Angestellten waren meistens irgendwelche mies bezahlten Gypsy-Tagelöhner, die sobald sie entlohnt wurden, erst wieder auftauchten, wenn das Geld alle war. Vasilis arbeitete deshalb ständig mit doppelter Belegschaft, eine Hälfte, die ihr Geld ausgezahlt bekommen hatte und verschwand und die andere Hälfte, die gerade keins hatte und wieder antrottete. Es funktionierte irgendwie, wie hier alles irgendwie funktionierte, obwohl man am Ende nicht genau wusste wie es gekommen war, dass es funktionierte.
Ich mochte diese Irrationalitäten, die für Vasilis durchwegs keine waren, wie man so oft das Eigene immer in einem milderen Licht zur Kenntnis nimmt als das Fremde. Vasilis kam aus einem kleinen Dorf unweit von Patras und brachte man das Thema auf Griechenland, so konnte er einen früh um fünf an einem Gyrosstand darlegen, warum die griechische Küche die gesündeste sei, die man weltweit finden würde, nämlich weil sie alles Notwendige enthielt. Meine Einwände, dass jede Küche alles Notwendige enthielt, weil ja sonst die Menschen längst gestorben wären, wischte er beiseite und analysierte die Innereien seines Gyros.
„Schau Fleisch, Tzatziki also Milch, Gemüse, er zeigte dabei auf die Tomate und Brot mit Olivenöl. Alles Notwendige ist dabei. Perfekt.“
Ebenso hätte man natürlich auch darauf hinweisen können, dass der Burger von Mc Donalds alles enthielt, aber ich unterlies es Vasilis auf dem Olymp seiner griechischen Welt eine amerikanische Note beizugesellen.
„Was war die schönste Frau, die du hattest“, fragte Vasilis, als wir lange genug auf die Straße geblickt hatten, was nicht spannend war, aber dennoch war es eben was, was man tat, wenn man nichts anderes für tuenswert hielt.
Ich überlegte ein wenig, trank vom London Pride und meinte dann: „Es war eine Frau, die ich nicht hatte und doch irgendwie schon.“
„Eine Frau, die du nicht hattest und doch irgendwie schon. Du sprichst in Rätseln.“
„Sie hatte blondes langes Haar und war bestimmt zehn Jahre älter als ich.“
„Das muss nicht schlecht sein.“
„War es auch nicht, nur ich war damals schlecht, schlecht in der Liebe. Eigentlich schon vor der Liebe schlecht, ich bekam Panik, wenn ich Frauen nur sah.“
„Stupid German“, meinte Vasilis. „Ihr macht Blitzkrieg und unterjocht Europa, aber habt Angst vor Frauen“.
„Wir ficken halt nicht jede“, gab ich kontra, dachte aber, dass da was dran sein könnte, also dass es einfacher war Krieg zu führen, als sich in emotional vermintes Gelände zu begeben.
„Tja, wir Griechen ficken auch mit Schafen, wenn es sein muss“, meinte Vasilis und lachte.
„Sie war ein tolle Frau und sie wird mit den Jahren immer schöner. Hätte ich mit ihr geschlafen, wäre sie dann auch so schön geblieben? Auf seltsame Weise ist sie makellos an meiner Seite geblieben. Wir hatten nicht genügend Zeit die schlechten Seiten an uns zu entdecken.“
„Bist du ein Mönch? Warum schläfst du nicht mit ihr, wenn du es könntest? Warum soll sie danach nicht mehr schön sein?“
„Sie war zu schön dafür!“
„Zu schön. Wie kann eine Frau zu schön sein, um mit ihr zu schlafen. Dafür ist doch die Schönheit da. Warum sonst sollte sie schön sein. Ich hab die Woche aus Not mit zwei Hässlichen aus meiner Firma geschlafen. Man schläft mit mehr Hässlichen als Schönen, das gleicht sich nie aus. Wenn eine schön ist, dann sei froh und frag nicht.“
Ich überlegte kurz, ob ich der größere Grieche von uns beiden war, weil meine Gedanken der Ideenwelt und der platonischen Liebe wohl näher standen als die praktische Herangehensweise Vasilis.
(…)
„Die Rumänen sind Dummköpfe, protestierte Vasilis. „In Griechenland bekommt man Salzgebäck zum Bier gereicht. Dann trinkt man doch viel leichter.“ Und so zogen wir dann auch weiter auf dieser sinnlosen Suche wie sie nur ein Wochenende hervorbringt. Dieser Suche, bei der man sich untrüglich gewiss ist, dass es nichts zu finden gibt, auch wenn man die Kulissen erneuert und dennoch sich diesem Theater der Suche hingibt, weil alles andere unmöglich zu ertragen wäre. Ich hatte keine richtige Lust auf Frauen, nicht mal auf Trinken, aber wovor ich mich wirklich fürchtete, war es in dieser Wohnung zu sitzen, in der einem dieses Leben in seiner Nichtigkeit so klar wurde, ohne auch nur eine Ahnung wie man ihr entkommen konnte.
(…)
„Denk nicht so viel, mein Freund. Lass uns ins Bordellos gehen und Girls gucken“, meinte Vasilis.
Wir zahlten und gingen ins Bordelllos, einen Nachtclub mit mittelschlechter Musik im Stil der 20er-Jahre, schauten den Tänzerinnen zu, die sich um ihre Stangen schlangen. Vasilis verschwand mit einer schnellen Bekanntschaft im Seperei. Ich zog mein Notizbuch und legte es auf den Tresen, eine alte Gewohnheit von mir, sowie man Knarren mit sich führt, obwohl es keine Patronen mehr gibt.
„What are you doing? Are you an artist?“, fragte eine Stimme neben mir, während ihre Titten meinen Arm streiften. Ich blickte auf, sie war von standardisierter Schönheit und hatte etwas zuviel Metal um den Hals hängen.
„No I`m not an artist. I still have no way to survive but to keep writing one line, one more line, one more line…,”
Ich hatte seit Monaten nichts mehr Vernünftiges geschrieben, meistens malte ich nur noch irgendwelche abstrakte Zeichen, die vielleicht über zehn Generationen der Ratlosigkeit irgendwie noch mit dem letzten sinnvollen Satz, dem letzten Fragezeichen verbunden waren. Aber dieser Satz von Mishima half immer, um Prostituierte fernzuhalten. Schreiber waren auch hier unattraktive Hungerleider.